Releasing ersetzt nicht notwendiges Handeln

Ein Missverständnis, das mir in der Arbeit mit Releasing Methoden immer wieder unterkommt, ist die unrealistische Vorstellung, sich dadurch notwendiges Handeln ersparen zu können.

Dies ist jedoch leider nicht der Fall.

Schauen wir uns das Thema hierfür etwas genauer an. In der Regel werden Releasing Methoden für folgende Ziele eingesetzt:

  1. zur Befreiung von Leid, das aus negativen früheren Erfahrungen resultiert (wie z.B. traumatische Erinnerungen)
  2. zur Befreiung von emotionalen Problemen (Ängsten, Sorgen, Depressionen, chronischer Wut, etc.)
  3. zur Beseitigung innerer Blockaden, die uns bei der Verfolgung unserer Ziele im Weg stehen
  4. zur Befreiung von negativen Überzeugungen
  5. zur Erlangung spiritueller Erkenntnisse und Erfahrungen

Bei einigen dieser Anliegen ist es auch tatsächlich möglich, durch einmaliges Processing Durchbrüche zu erzielen, die vollständige Beseitigung des Problems oder zumindest eine deutliche Linderung.

Am zuverlässigsten gelingt dies bei der Bearbeitung von belastenden Erinnerungen.

Als schönes Beispiel hierfür ist die Geschichte eines etwa 60 jährigen Klienten von mir, der mir zu Beginn einer Sitzung davon erzählte, dass er seit seiner Jugend jeden Tag von traumatischen Erinnerungen an Gewalterfahrungen heimgesucht wurde, die darauf zurückgingen, dass ihn sein sadistischer und gewalttätiger Vater in der Kindheit häufig misshandelt hatte. Sein Vater war inzwischen bereits längst verstorben und der Klient wünschte sich nichts sehnlicher, als endlich Frieden zu finden und mit seiner Vergangenheit abschließen zu können. So führte ich ihn durch den DP-4 Prozess von Zivorad Slavinski und bearbeitete damit eine besonders schlimme Erinnerung, die sich ihm immer und immer wieder aufzwang. Ich ließ ihn den Prozess sowohl aus der Ich-Perspektive bearbeiten, als auch aus allen anderen relevanten Perspektiven. Mit großem Erstaunen berichtete er mir dann später, dass die Erinnerungen tatsächlich nie wieder gegen seinen Willen aufgetaucht seien. Er konnte kaum glauben, dass dies so einfach möglich gewesen war.

Ähnlich schnelle und beeindruckende positive Veränderungen lassen sich auch bei der Bearbeitung von emotionalen Problemen, inneren Blockaden und hinderlichen Überzeugungen erzielen. Manchmal sind diese tatsächlich nach nur einem Prozess beseitigt. Allerdings ist es nicht immer so einfach und viele Probleme benötigen mehr als einen Prozess, um die erwünschte Linderung oder Befreiung zu erzielen. Dies gilt insbesondere für Probleme, die auch zukünftig weiterhin durch belastende Umstände getriggert werden oder beherztes Handeln erfordern.

Und natürlich gibt es auch immer wieder Themen, die sich hartnäckig jeglicher Veränderungsarbeit widersetzen.

Warum dies so ist, kann sehr unterschiedliche Gründe haben. Es kann an Faktoren liegen, die mit dem Klienten zu tun haben (z.B. die Unfähigkeit zum Fühlen, Schutz- und Abwehrmechanismen, tief verankerte Persönlichkeitsmerkmale, Angst vor Veränderung), es kann an Faktoren liegen, die mit dem Therapeuten zu tun haben (z.B. mangelnde Erfahrung im Verständnis der Problematik oder bei der Auswahl und Durchführung der geeigneten Methode), es kann an der Methode liegen oder an falschen Erwartungen an die Methode.

Unter den falschen Erwartungen sticht dabei besonders die Erwartung hervor, dass sich äußere Lebensumstände durch die Anwendung von Releasing Methoden automatisch zum Besseren verändern würden. Dies ist zwar möglich, sollte aber auf keinen Fall vom Therapeuten versprochen oder vom Klienten erwartet werden.

Typische Beispiele hierfür sind körperliche Krankheiten, chronische Beziehungskonflikte oder das Feststecken in einer problematischen beruflichen Situation.

Was körperliche Krankheiten betrifft, kann man oft nur die psychische Komponente der selbigen bearbeiten. Manchmal verbessert sich dann auch der körperliche Zustand, aber eben nicht immer. Und oft ist dies auch schlicht und ergreifend nicht möglich. Denke nur einmal an eine Leberzirrhose oder einen Knochenbruch. Diese werden höchst wahrscheinlich nicht einfach verschwinden, nur weil wir die damit zusammenhängenden Ängste bearbeiten.

Ähnliches gilt für chronische Beziehungskonflikte und problematische Lebensumstände. Diese erfordern in der Regel, dass man wichtige Entscheidungen trifft, Dinge offen anspricht und/oder handelt. Was uns die Releasing Methoden in diesen Fällen geben können, ist, dass wir durch ihre Anwendung die Ängste und Hemmungen reduzieren können, die uns bisher daran gehindert haben, die unbefriedigende Situation zu konfrontieren und anzugehen.

Als Beispiel hierfür fällt mir eine Klientin ein, die in ihrer Kindheit gelernt hatte, dass sie nur dann liebenswert sei, wenn sie ihren Liebsten (und auch allen anderen) immer alles Recht macht und eigene Bedürfnisse und Wünsche hintenanstellt. So entwickelte sie sich zwar zu einer sehr fürsorglichen, hilfsbereiten und aufopferungsvollen Person, doch konnte sie ihre eigenen Bedürfnisse weder äußern noch einfordern. Tatsächlich war sie sich ihrer eigenen Bedürfnisse noch nicht einmal wirklich bewusst. Wessen sie sich aber im Lauf der Jahre durchaus bewusst geworden war, war, dass sie zunehmend frustriert und unglücklich wurde. Denn während sie selbst jederzeit dazu bereit gewesen war, auf die Bedürfnisse und Wünsche ihrer Liebsten einzugehen und diese zu erfüllen, waren ihre eigenen Bedürfnisse ignoriert worden und sie hatte das Gefühl, seelisch zu verhungern. Nachdem sie in therapeutischen Gesprächen erkannt hatte, wonach sie sich wirklich sehnt, und nachdem sie alle möglichen Szenarien durchdacht hatte, beseitigten wir mit Releasing Methoden ihre Angst davor, ihre Bedürfnisse offen zu äußern und einzufordern. An diesem Punkt fühlte sie sich zuversichtlich, die notwendigen Gespräche führen zu können. Hätte sie nun darauf gehofft, dass sich durch diese Arbeit alles von alleine zum Besseren ändert, wäre sie nur noch mehr frustriert worden. Stattdessen traute sie sich, ihren Mann mit ihrer Unzufriedenheit zu konfrontieren und eigene Wünsche einzufordern. Dadurch änderte sich dann tatsächlich alles und in ihrem Fall in die von ihr erhoffte Richtung.

All dies soll nur zur Erinnerung daran dienen, dass die Anwendung von Releasing Methoden allein oft nicht genügt. Dennoch können sie bei der Vorbereitung auf wichtige Entscheidungen und Handlungen eine sehr hilfreiche Rolle einnehmen.

Mit besten Grüßen,

Michael